Süßwassergarnelen der Gattung Neocaridina gehören zusammen mit den Varianten der Gattung Caridina zu den beliebtesten Bewohnern des Aquariums. Dabei sind besonders zwei Neocaridinaarten im Handel: N.palmata und N.davidi.

N. palmata wird hauptsächlich durch die Farbschläge white pearl und blue pearl vertreten, wohingegen N.davidi durch eine Vielzahl von verschiedenen Farbformen wie z.B. red fire, blue jelly, schoko sakura und andere repräsentiert wird. 

Fragestellung

Im Internet findet man auf diversen Seiten viele Kreuzungstabellen, die alle beinhalten, dass N. palmata und N.davidi miteinander kreuzbar sind. Diese (uneingeschränkte) Kreuzbarkeit steht eigentlich im Widerspruch dazu, dass es sich um zwei verschiedene Arten handelt.

Der Begriff der Art und seine wissenschaftliche Definition haben im Laufe des vergangenen Jahrhunderts einen Wandel erfahren. Angefangen von Carl von Linne, der im 18. Jahrhundert eine Arteinteilung streng nach äußerlichen (morphologischen) Eigenschaften schuf und daneben auch die noch heute gültige lateinische Doppelbezeichnung, bestehend aus Gattungs- und Artnamen (z.B. Neocaridina davidi), einführte, bis zu Ernst Mayr Mitte des 20. Jahrhunderts, der den Artbegriff neu  definierte. Demnach gehören alle Individuen zu einer Art, die miteinander kreuzbar sind und stabile fruchtbare Nachkommen erzeugen können. 

Kreuzungen zwischen verschiedenen Arten können im Tierreich durchaus vorkommen, bekannt sind vor allem die Kreuzungen zwischen Pferd und Esel, die Maultier bzw. Maulesel ergeben. Diese Nachkommen sind allerdings steril und vermehren sich nicht weiter, ebenso wie die Nachkommen zwischen Löwe und Tiger, die sich in freier Natur äußerst selten begegnen und sich nur unter den künstlichen Bedingungen der Zoohaltung miteinander kreuzen. Ein Sonderfall liegt anscheinend bei unseren einheimischen Fröschen vor, da der Teichfrosch eine stabile und fruchtbare Kreuzung aus Seefrosch und kleinem Wasserfrosch darstellt. Allerdings haben die Teichfrösche eine Fähigkeit, die bei anderen Tieren unbekannt und deren Mechanismus noch nicht erforscht ist. Sie sind in der Lage alle Chromosomen eines Elternteils zu eliminieren, so dass nur die Chromosomen des anderen Elternteils an die nächste Generation weitergegeben werden. 

Doch zurück zu unseren Garnelen . Wenn N. palmata und N. davidi problemlos kreuzbar sind und fruchtbare Nachkommen erzeugen, sind sie nach der Artdefinition der modernen Biologie keine zwei verschiedenen Arten. Wenn es zwei Arten sind, dürften sie nicht ohne weiteres kreuzbar sein. Diesem Problem sind wir in unseren Untersuchungen nachgegangen. Wir haben red fire (Abbildung 1-3) stellvertretend für N. davidi und white pearl (Abbildung 4-6) stellvertretend für N. palmata miteinander gekreuzt.

Abbildung1: red fire Weibchen Abbildung2: Gruppe von red fire Abbildung3: red fire Weibchen
Abbildung4: white pearl Männchen Abbildung5: white pearl Weibchen Abbildung6: white pearl Weibchen

Die verwendeten Methoden und die resultierenden Ergebnisse werden im Folgenden erläutert.

 

Bedingungen und Methoden

Die beiden Ausgangsstämme wurden jeweils in 60l Aquarien gehalten, die mit Akadama Bodengrund und langsam laufendem Bodenfilter ausgestattet waren. Der Leitwert betrug etwa 260 Microsiemens, Wasserwechsel wurde nur selten durchgeführt (ungefähr10l alle 14 Tage). Die Aquarien waren bepflanzt mit Hornkraut, Nixkraut und Javamoos und waren mit Wurzelholz dekoriert. Es gab keine Heizung, so dass die Temperatur abhängig von der Zimmertemperatur war (20 bis 25 Grad). Die Fütterung erfolgte mit handelsüblichen Futtermitteln. Beide Stämme vermehrten sich unter diesen Bedingungen gut. Die Nachkommen beider Stämme zeigten keine besonderen Auffälligkeiten, jedoch waren sie in sich äußerlich nicht homogen, zeigten also Abweichungen vom Idealtyp. Es waren „ Standard“ Stämme, wie sie jeder im Handel erhalten kann. Die white pearl waren vom Verhalten her etwas zänkischer und aggressiver als die red fire.

Für die Kreuzungsexperimente wurden zum einen white pearl Weibchen mit red fire Männchen zum anderen die umgekehrte Kombination jeweils separat in 20l Aquarien gesetzt, die ebenso ausgestattet waren wie die Ursprungsaquarien. Auch sonst wurde versucht die Bedingungen möglichst denjenigen der Ursprungsaquarien anzugleichen.

 

Ergebnisse und Diskussion

Die Kreuzung der red fire Weibchen mit white pearl Männchen war erfolgreich, d.h. es wurden befruchtete Eier gebildet und Jungtiere schlüpften nach ca. 27 Tagen. Sie wuchsen etwa gleich schnell wie Nachwuchs der beiden Elternarten. Vom Aussehen (Phänotyp) her entsprachen sie weder dem einen noch dem anderen Elternteil, sondern stellten einen eigenen Typ dar, den wir „Wildtyp“ (nicht Wildart) getauft haben. Sie sehen aus wie andere Wildarten, oder zumindest so, wie man sich eine Wildform vorstellt. Auf einem mehr oder weniger graugrün gefärbtem durchscheinenden Körper waren dunkle Punkte zu einem charakteristischem Muster angeordnet. Die Augen waren nicht komplett schwarz gefärbt, stattdessen war der schwarze Bereich auf einen dunklen Punkt in der Mitte zusammengeschrumpft (Abbildung 7-9). Mit zunehmendem Alter wurden die Weibchen immer dunkler, die Farbe immer deckender und ein Rückenstrich wurde ausgebildet ( Abbildung 10). Die Männchen veränderten die Farbe nicht. Insgesamt wurden die F1 Generation etwas größer als beide Elternstämme, was mit dem sogenannten Heterosiseffekt erklärt werden kann. Heterosis beschreibt die Tatsache, dass Hybriden häufig wüchsiger sind und größer werden als die Eltern, eine Tatsache, die in der Pflanzenzüchtung (z.B. Mais ) schon lange von großer Bedeutung ist. Beide Geschlechter waren vom Verhalten her eher mit white pearl als mit red fire vergleichbar. Die so erhaltenen Tiere werden als F1 bezeichnet. Da sie vom Phänotyp her recht einheitlich waren, wird die erste Mendelsche Regel (Uniformitätsregel) erfüllt.

 

Abbildung7: F1 Weibchen Abbildung8: F1 Männchen Abbildung9: F1 Weibchen
   
  Abbildung10: F1 Weibchen ausgewachsen  

Die Kreuzung der white pearl Weibchen mit red fire Männchen brachte hingegen keine Jungen hervor. Trotz mehrfacher Versuche kam es kein einziges Mal vor, dass Eier bis zum Ende ausgetragen wurden. Es wurden zwar Eier gebildet, jedoch nach ca. 1 Woche Tragezeit nach und nach abgeworfen, so dass die Weibchen spätestens nach 14 Tagen keine Eier mehr trugen.

Es zeigt sich also zumindest für diese Kombination eine Kreuzungsbarriere, die verschiedene Ursachen haben kann (unvollständige Eientwicklung, Befruchtungssperre, Erkennen der Eier als Fremdkörper usw.). Dies ist aber alles reine Spekulation .

 

Des weiteren wurde versucht die F1, die aus der Kreuzung von red fire Weibchen mit white pearl Männchen hervorgegangen war, untereinander zu verpaaren, um eine F2 zu erhalten. In über ein Jahr andauernden Versuchen gelang es nicht, Junge zu erzeugen. Es wurden Eier gebildet, die teilweise sofort nach der Befruchtung, teilweise innerhalb der ersten 14 Tage abgeworfen wurden. Dieses Ergebnis war vergleichbar mit demjenigen der Kreuzungsversuche zwischen white pearl Weibchen und red fire Männchen. Versuche mit verschiedenen Aquarien, unterschiedlichen Wasserzusammensetzungen und anderen Futterzusammensetzungen brachten ebenfalls keinen Erfolg. Die F1 Tiere waren unter unseren Bedingungen nicht kreuzbar.

 

Zusammenfassend können wir sagen, dass sich für uns durch die vorgestellten Ergebnisse die Existenz zweier Arten bestätigt hat. Durch die beschriebenen Kreuzungsprobleme und -barrieren ist der freie Genaustausch nicht gewährleistet. Dadurch, vor allem durch die nicht vorhandene Fortpflanzungsfähigkeit der F1 ist die Zuordnung von white pearl und red fire zu getrennten Arten berechtigt. Die beschränkte Kreuzbarkeit sollte auch in den diversen Kreuzungstabellen Berücksichtigung finden.

 

Bevor jedoch sämtliche Kreuzungstabellen abgeändert werden, muss berücksichtigt werden, dass unsere Experimente zwar nach wissenschaftlichen Regeln durchgeführt wurden (soweit man das als Hobbyzüchter einhalten kann), die Ergebnisse jedoch auf Grund geringer Wiederholungsfrequenzen nicht allerhöchsten wissenschaftlichen Kriterien genügen. Vielleicht können wir aber den ein oder anderen anregen, ebenfalls solche Versuche durchzuführen. Mit einer dann größeren Anzahl und auch unter Verwendung verschiedener Garnelenstämme, könnten die hier getroffenen Aussagen untermauert werden.